
St. Andrä
Nach Skiferien in Gröden wollten wir unbedingt diese wunderbare Gegend auch im Sommer besuchen, am liebsten durchwandern. Und praktischerweise führt der Dolomitenhöhenweg 2 geradewegs durch dieses Gebiet. Den ganzen Höhenweg wollten wir nicht laufen, nur bis zum Pale di San Martino, und in gemütlichen Etappen, also zeitlich etwa eine Woche. Die Hütten haben wir im Voraus reserviert. Das war auch sehr notwendig, im August ist es teilweise rappelvoll. An den Wochenenden sowieso, aber teils auch unter der Woche. Man kann unter der Woche auch mal Glück haben, und den Schlafsaal für sich haben. Ist aber eher selten, und ganz sicher nicht bei den bekannten Hütten. Natürlich findet man viele durchtrainierte, fitte deutsche Wanderer vor, gerne auch in Gruppen. Beinahe hätte ich gesagt, in Horden, kommt einem manchmal so vor. An den Wochenenden findet man aber, zu unserem Erstaunen, auch italienische Gruppen, nicht so trainiert, nicht so fit, wundersam ausgerüstet, von der schnatterhaften Sorte, die sich auch an ganz anständige Etappen wagen. Das Zusammenprallen der beiden Kulturen kann für Beobachter recht amüsant sein, insbesondere, wenn man versteht, was über die jeweils anderen gemurmelt wird…

Geisler Gruppe
Also, unser Weg führt von oberhalb Brixen, der Bergstation Plose, nach der San Martino Hütte in der Pale Gruppe. Die erste Nacht verbringen wir im Gasserhof in St. Andrä. Es ist gar nicht so einfach, ein Hotel für nur eine Nacht im August zu finden. Die meisten wollen mindestens 4 Tage Aufenthalt und sind recht voll. Nun, der Gasserhof lässt uns für eine Nacht vor und nach unserer Tour bleiben, und wir dürfen unser Fahrzeug auch gratis stehen lassen, und unser restliches Gepäck wird im Haus aufbewahrt. Entsprechend haben sie viele Gäste, die auf dem Höhenweg wandern wollen. Wir können das Haus als Startpunkt für diese Tour sehr empfehlen.
Nach unserer Ankunft, es regnet, sehen wir uns ein bisschen in St. Andrä um. Ziemlich verstreut, mit einer schönen, alten Kapelle und einer etwas jüngeren Kirche, und diversen stattlichen Höfen, versetzt mit Ferien- und Appartementhäusern, in einer lieblichen Landschaft, finden wir das ganze recht reizvoll. Unter uns Brixen, eine alte Stadt mit ausgedehntem Bischofssitz.
Seit etwa April hat es kaum mehr geregnet, es wird der trockenste Sommer seit Menschengedenken werden. Das wissen wir aber nicht, und da es gerade richtig schüttet, fragen wir uns, ob das Wetter so bleiben wird, besonders, da die Wettervorhersage darauf hindeutet. Der nächste Morgen zeigt sich aber in strahlendem Sonnenschein, was uns sehr vergnügt stimmt. Nach einem reichhaltigen und sehr leckeren Frühstück machen wir uns auf zur Talststation Plose, sie ist etwa 10 Minuten entfernt, es geht gleich recht sportlich steil hoch. Um neun fährt die erste Gondel, und wir fahren mit. Man könnte ja auch hochlaufen…

Schlütterhütte
Oben angekommen erwandern wir gemütlich den Höhenweg unterhalb dem Gipfel Richtung Haslpass, vor uns unser heutiges Ziel, die Geislergruppe, in all ihrer Pracht, an Gasthöfen und über Almen vorbei. Unser Weg führt uns dann durch einen Wald hinab zum Haslpass. Unterdessen hat sich der Himmel wieder bezogen, es nebelt gelegentlich. Beim Haslpass finden wir ein Lokal mit geschütztem Gartensitzplatz, wo wir eine Knödelsuppe essen. Der Grill läuft vollbestückt mit leckerem Fleisch auf Hochtouren, und der Wirt stärkt sich laufend bei seiner heissen Arbeit mit Tranksame. Wie wir wieder aufbrechen, treffen die ersten ordentlichen Gäste ein, wir können nur hoffen, dass das ganze Grillgut aufgegessen wird! Als nächstes laufen wir ein Stück der Strasse entlang, bis der Weg zur Peitlerscharte abzweigt, er führt uns durch verwunschenen Wald der Bergflanke entlang, über Bäche und an mächtigen Felsblöcken vorbei. Teilweise ist der Weg recht ausgesetzt, gerade an den Bachquerungen ist etwas Trittsicherheit gefragt. Wir sind bei weitem nicht die einzigen Wanderer! Je näher wir dem letzten steilen Aufstieg zur Peitlerscharte kommen, desto häufiger werden wir von Gruppen überholt, und auf der letzten Passage können wir vor und nach uns schon fast einer Völkerwanderung gleich Kolonnen von Rucksackträgern ausmachen. Zum Glück haben wir in der Hütte reserviert!
Auf der Peitlerscharte angelangt nutzen wir eine der Bänke für eine kurze Rast. Die Schlüterhütte, unser heutiges Ziel, ist zwar nicht mehr weit entfernt, und dunkle Wolken über uns drohen weiterhin mit Regen, aber die Aussicht ist trotzdem fantastisch, und dann wird auch Unterhaltung geboten; Dohlen, welche sich mit dem Wind spielen und den Boden nach Brosamen absuchen. Schliesslich machen wir uns weiter auf dem nun hochalpinen Weg über das Kreuzkofeljoch rüber zur Schlüterhütte. Von den besuchten Hütten auf dieser Tour war es die Beste in jeder Hinsicht: Freundlichkeit, Lage, Reinlichkeit, Infrastruktur, Essen. Und der Kuchen war ein Genuss!

Kreuzkofeljoch
Beim Abendessen erzählte uns ein Spätankömmling, dass er ebenfalls von der Plose Bergstation hergekommen war, allerdings ist er den Weg von Brixen zur Talstation hochgelaufen. Also, zur Info: es gibt einen Bus von Brixen nach St. Andrä und zur Bergstation der Plosebahn, so geschätzt alle 30 Minuten. Hochlaufen dauert vielleicht eine bis anderthalb Stunden – wenn man schnell ist.
Der junge Mann hatte nicht reserviert und schlief irgendwo im Gang auf einer Matratze, zusammen mit ein paar anderen Überraschungsgästen. Und der Wirt hat uns erzählt, dass es so den ganzen Sommer über läuft, nicht nur an den Wochenenden. Ausserdem haben wir mitbekommen, dass andere (Mehrtages-) Gäste ihr mitgebrachten Hausschuhe vermissten. Ein Paar davon ist an den Füssen eines anderen Gastes wieder aufgetaucht, ein anderes hat sich aber auf Nimmerwiedersehen verabschiedet. Ihr seid gewarnt!
Der nächste Morgen zeigt sich freundlich, mit einigen Wolken am Himmel. Wir nehmen Abschied von dieser wirklich gastlichen Hütte und machen uns auf zur nächsten Station, der Puezhütte. Der Weg führt uns zuerst über einige Almen hinüber zum Kreuzjoch. Die Landschaft ist geprägt von tollen Felstürmen, -Schlössern, -Nadeln und -Zähnen. Am Wegrand wiegen sich letzte Feuerlilien im Wind. Von weitem schon können wir den Aufstieg zum Kreuzjoch ausmachen, über eine langgezogene Schutthalde führt zuerst ein ansteigender Zu-, dann ein zackiger Aufstieg in die Felszacken hoch. Oben angekommen, von der Forcella dla Roa aus, blickt man ins Val dla Roa, einem Hochtal aus Fels, Schneefeldern und Geröll, versetzt mit einigen wenigen Pflanzengruppen, umrahmt von eindrücklichen Bergzügen, die vom Piz Duleda gekrönt werden. Vom Pass aus führen zwei Wege zur Puezhütte; ein kürzerer Klettersteig (II-III) über die Furcla Nieves, und ein etwas weiterer Weg, der zuerst in das Val dla Roa absteigt, und dann über die Furcella Forces di Siëles den Zustieg auf diesen Grat ermöglicht. Der Klettersteig, der dann darüberführt – sehr pittoresk – ist kaum ein Einer, gut gesichert, und kann problemlos ohne Ausrüstung begangen werden. Beim anderen Steig ist die Ausrüstung zumindest empfehlenswert. Die einfachere Variante fanden wir sehr schön, der kleine Umweg belohnt einen mit vielen zusätzlichen Ausblicken, und der Weg durch die Felswand ist wunderschön. Bis zur Puezhütte zieht sich der Weg dann noch, zuerst die Abzweigung zur Furcella Nieves, dann noch einige kleinere Abhänge unter die Puezspitze, und schliesslich führt der Weg um die Schulter vom Puezkofel herum. Die Hütte sieht man erst zuletzt, in einer kleinen Mulde an einem Bach. Schafe grasen an den steilen Wiesen, weiter vorne gibt’s einen kleinen Platz mit Fahnen, die man von weiter wegsehen kann. Die grosszügige Terrasse vor der Hütte ist bis zum späten Nachmittag voller Tagesausflüger.

Sonnenuntergang auf der Puezhütte mit Ausblick auf die Sella Gruppe
Im Inneren ist der Gastraum grosszügig angelegt, wirkt aber etwas kalt und unfreundlich. Zum Schlafen wird uns ein Platz unter dem Dach zugewiesen, in einem Schlupf, in dem man kaum stehen kann, der Zugang ist vielleicht 1,50 m hoch. Die Matratzen liegen auf dem Boden, und einige Lager sind so angelegt, dass die Person sich den Kopf anstösst, wenn sie aufsteht. Man kann auf der Puez-Hütte Duschen. Allerdings erst am Abend, kurz vor dem Abendessen (ab 18:00 Dusche, 18:30 Abendessen). Es hat zwei Duschen, welche zuerst den Angestellten zur Verfügung stehen. Diese legen allerdings nicht wirklich Wert darauf, auch um 18:00 Uhr fertig zu sein. Logischerweise bildet sich dann eine Schlange an Gästen, die darauf warten, dass die Angestellten endlich die Dusche freigeben… Insgesamt ist der Ton in der Hütte barsch bis zur Unfreundlichkeit, man erhält das Gefühl, unerwünscht zu sein. Nur das Geld, das nehmen sie gerne. Das Essen war mittelprächtig. Es zieht uns nicht wieder hierher.

Pisciadu Hütte
Nach einem eher kargen, abgezählten Frühstück machen wir uns auf unsere Königsetappe dieser Tour: auf zur Boehütte. Wir werden abends einen Abstieg von 1000 Hm und einen Aufstieg von 1500 Hm hinter uns haben. Der Morgen blinkt in prächtigem Sonnenschein, und wir machen uns frohen Mutes auf den Weg, der zuerst gemütlich über Alpwiesen und an steinigen Abhängen über die Forcla Ciampei zur Hochebene von Crespeina und an dessen Seelein unter dem Sas Ciampac führt. Damit sind wir schon fast im Einzugsgebiet des Grödner Jochs. Eine Schutthalde hoch geht’s zur Fuorcla Crespeina, und nach einem kleinen Abstieg wieder hoch zur Fuorcla Dantercëpies. Das ist wunderschön, dort oben! Der Name ist korrekt: zwischen den Spitzen. Felsnadeln säumen den Weg, und dann geht’s zwischen diesen steil und immer steiler abwärts. Dazwischen sehen wir nette Rastplätze, mit Ausblicken in die Tiefe unter uns. Die Passstrasse sehen wir von hier aus noch nicht, aber wir begegnen immer mehr Wanderern, teils mit Sack und Pack und Lumpi. Viele Lumpis! Je tiefer wir kommen, desto zahlreicher werden die Aufsteigenden, bis wir uns schliesslich sputen müssen, um überhaupt noch weiter zu kommen, da der steile Weg recht eng ist. Teils frage ich mich ja schon, wie einzelne Personen da hochkommen wollen. Zum Beispiel das Paar mit dem Basset, der schon bei den recht flachen Tritten weiter unten mit seinem langen Rücken und den kurzen Beinchen Probleme bekommen hat. Oder das sehr kurzatmige Paar, das zwei kleine Hundchen in einer Tragetasche mit sich trägt. Viele sind sogar froh darum, einen Moment pausieren zu können, um uns vorbei zu lassen, was ja auch nett ist. Jedenfalls, je näher man dem Joch kommt, desto grösser wird die aufsteigende Menschenmasse. Unten erklärt sich dies teilweise, weil da hat es nämlich je eine Endstation vom Lift vom Val Gardena sowie aus der Richtung Colfara. Und die Gondeln spucken im Minutentakt immer mehr Menschen aus. Ja, natürlich, Parkplätze sind auch da, in rauhen Mengen, wir sind schliesslich in Italien. Nun, wir machen, dass wir weiterkommen, und marschieren zum Grödner Joch weiter, wo wir unseren Wasservorrat bei einem Restaurant ergänzen, und einen anständigen Kaffee trinken. Bei allen Strassenpässen, die wir in den Dolomiten erwandert haben, gibt es einerseits Hotels und Restaurants, und dann Souvenirläden. Dort kann man allen möglichen Ramsch erstehen, Abtrocktücher, Talmischmuck, Kühlschrankmagnete, Gläser, Tassen, Filzhüterl, ganz einfach schauderöses Zeugs der kitschigen bis unmöglichen Sorte. Was wir bis jetzt nicht vorgefunden haben, ist ein Geschäft, in welchem man Dörrfrüchte, Sonnencreme oder vernünftige Wanderartikel erstehen kann. Dazu müsste man ins Tal hinunter, zum Beispiel mit dem Dantercepies-Lift. Oder dem Bus. Aber wir sind gut ausgerüstet, brauchen nichts zusätzliches, und marschieren nach kurzer Rast gerne weiter.

Piz Boe
Der Weg führt uns nun zu einem der schönsten Abschnitte dieser an sich schon wunderschönen Tour. Jetzt geht’s in die Sellagruppe! Zuerst der Flanke der Sella entlang über Alpweiden, saftig grün, dann wird’s zunehmend steiniger. Schiesslich hört der Weg auf, ein Weg zu sein, und wird zu einem einfachen, gut gesicherten Klettersteig, zwischen dem Camp Campidel und dem Torre Brunico. Gegenverkehr macht das Ganze nicht einfacher, auch hier kommen uns Hunde entgegen. Wir krabbeln da hoch, zwischen diesen gewaltigen Felstürmen, die der Erosion so lange wiederstanden haben. Ein sehr schöner, wenn auch etwas anstrengender Aufstieg. Oben steigt man buchstäblich aus dem Aufstieg auf ein Plateau, es ist, wie wenn man durch eine Luke steigt. Die Aussicht ist umwerfend. Einige Minuten später befindet man sich auf der gastlichen Terasse der Piscadiouhütte, die malerisch am langgezogenen Piscadiou Seelein liegt. Dort auf dieser schönen Holzterrasse einen Imbiss zu sich zu nehmen, nach einem netten Aufstieg in der Sonne sitzen zu können, ist ein wunderbare Sache. Leider können wir nicht lange bleiben, da wir heute noch zur Boe-Hütte wollen. Hierher möchte ich nochmals hin.
Nach erholsamer Mittagsrast geht’s über den Seeabfluss und dann am anderen Ufer entlang zum nächsten Aufstieg Richtung l’Antersass. Ein Helikopter unterbricht die Stille kurz, aber sonst ist's hier wirklich abseits von allem Trubel. Zwei weitere Anstiege, nicht mehr so steil wie zur Piscadiouhütte hoch, aber auch gesichert, bringen uns nun zum Hoch-Plateau der Sellagruppe. Ziemliche Mondlandschaft hier oben, weder Schafe noch Ziegen, was hier oben gedeiht nur der Tourismus. Trotz der unwirtlichen Landschaft gibt es einige Hütten, die höchste liegt auf dem Piz Boe selbst, heisst aber Fassahütte. Oben sieht man die ganzen Spitzen sehr gut: Zwölfer, Elfer, Kofels in rauhen Mengen, Pizes und Sas und überhaupt, an einem schönen Tag eine wunderbare Aussicht. Die Boehütte, in welcher wir nächtigen, liegt auf einer kleinen Ebene beim Col Toron. Und sie ist noch ein ganzes Stück vom Rand der Sella entfernt. Der Weg führt uns einige Male an spannende Abgründe und erlaubt vielfältige Ausblicke, es ist ganz fantastisch. Schliesslich ist auch der letzte kleine Aufstieg überwunden, und wir werden sehr zuvorkommend und freundlich empfangen. Die Hütte ist nicht stark ausgelastet, recht einfach gebaut, keine Dusche, kein Trinkwasser, was in dieser Umgebung auch nicht erstaunt. Hinter der Hütte ist eine grosse Baugrube. Ob die Hütte erneuert werden soll, oder ob ein Wasserspeicher entsteht oder beides? Jedenfalls ist der Aufenthalt in der Boehütte trotz der rudimentären Ausstattung ein angenehmer Kontrast zu demjenigen in der Puezhütte.

Vom Sas De Pordoi mit Ausblick auf die Marmolata
Auch der nächste Tag bringt einen wolkenlosen Morgenhimmel. Wir marschieren unter dem Piz Boe rüber zur Fuorcla Pordoi. Dort steht eine absolut hinreissende Hütte, mit Dusche und einzelnen Zimmern. Rote Fensterläden und eine schöne Terrasse mit atemberaubender Aussicht. Nach kurzer Rast entschliessen wir uns, nicht von hier aus abzusteigen, sondern etwas hoch zur Bergstation zu marschieren und von dort aus den Lift zu nehmen. Die Bergstation liegt vielleicht 20 Minuten Aufstieg entfernt auf einem Plateau auf dem Sas Pordoi. Der Ausblick von dort ist einfach überwältigend, man sieht und siehr, wunderbar blinkt der Gletscher der Marmolada herüber. Mit dem Lift sind wir trotz Aufstieg schneller unten, als wenn wir gelaufen wären, und hätten den Ausblick verpasst. Beim Passo Pordoi füllen wir unsere Wasservorräte auf und staunen die Menschenmassen an, die hier herumwirbeln. Neben den verschiedenen Tagesausflügern und Gruppen ist auch mindestens eine Gebetsgruppe da – eine recht grosse Gruppe betet gleich auf der Wiese neben der Talstation. Und auf dem weiteren Weg finden wir immer wieder weitere Gruppierungen, welche hymnisch singen, oder beten. Es hat auch jede Menge anderer Wanderer, manche freundlich, manche weniger. Die letzteren sind vor allem Deutsche, die sich über die – langsameren – Italiener (und Schweizer) ausführlich auslassen. Müsste man vielleicht mitteilen, dass sie hier Gäste sind, und die Italiener hier daheim und von daher so langsam laufen dürfen, wie sie verflixt noch mal mögen? Bei der schönen Landschaft hier handelt es sich ja nun wirklich nicht um ein Wettrennen!
Und die Landschaft ist wirklich einzigartig wunderbar. Unser Weg, der Bindelweg, führt am Hang eines langgezogenen Hügels (Ciapel) zur Marmolada hin entlang, und bietet praktisch ununterbrochen Ausblicke auf Stausee und Gletscher. Es gibt Hütten unterwegs, die, verständlicherweise, vollständig besetzt ist. Insbesondere von der Terrasse vom Rifugio Vièl dal Pan bietet sich ein unübertroffen schöner Blick auf die Marmolada. Aber wegen voll besetzt laufen wir gemütlich weiter und rasten ein bisschen weiter vorne, vor dem Abstieg zum Lago di Fedaia, in einem Wiesenhang. Im Ort unter uns, an der Staumauer jedenfalls gibt es massenweise Hotels und Restaurants, und es ist auch nicht schlecht was los, Verkehr, und öffentliche Busse und jede Menge Wanderer und Touristen. Und einem Korblift auf der anderen Seite des Staudamms, den wir zu nehmen gedenken, denn er führt direkt zu unserer Übernachtungshütte. Der Weg dorthin würde entlang dem Lift verlaufen, was wir im allgemeinen nicht so toll finden. Jedenfalls genehmigen wir uns ein Eis in der CAI Hütte E. Castiglioni alla Marmolada gerade beim Staudamm, über welchen wir nachher marschieren und dann mit dem offenen Korblift hoch zum Rifugio Pian de Fiacconi fahren. Dieser Korblift ist auch ein Erlebnis. Die Hütte ist voller Tagesausflüger, die sich langsam auf den Heimweg machen. Nachdem wir unser Lager bezogen haben – wir werden den Raum für uns alleine haben – stochern wir ein bisschen in der näheren Umgebung herum, beobachten mit fsziniertem Interesse die Prozeduren mit dem Korblift, und machen es uns nachher auf der Terrasse in der Sonne auf zwei Liegestühlen gemütlich, bis uns die Kühle nach dem Sonnenuntergang ins Haus treibt. Wir erhalten kluge Informationen bezüglich dem weiteren Weg über die Marmoladascharte, sowie die dafür notwendig Ausrüstung vom Hüttenwart und Guide. Er wird morgen eine Gruppe hinüberbegleiten und uns helfen, sollte es notwendig sein.

Forcella della Marmolada
Am nächsten Morgen ziehen wir nach einem reichhaltigen Frühstück im Sonnenschein los. Es ist vermutlich noch nicht lange her, da war hier noch Gletscher. Wir wandern mehrheitlich über Gletscherschliff, manchmal über Moränen. Schliesslich kommen wir an ein langegezogenes Firnfeld, mit eindeutigen Wegspuren, das zur Forcella de Marmolada hochführt. Man könnte auch steiler hochsteigen, aber wir entscheiden uns für den flacheren Zustieg. Nach Montur aller Ausrüstung geht’s weiter. Die Steigeisen sind an gewissen Stellen wirklich hilfreich, aber wir sehen auch Spuren von Leuten vor uns, die keine verwendet haben. Der Hang ist steil, läuft aber unten aus, also würde nicht sehr viel passieren, wenn man ausrutscht. Pickel ist definitiv nicht notwendig. Stöcke sind immer praktisch. Jedenfalls sind wir zügig an der Felswand oberhalb dem Firn angelangt, wo die Steigeisen wieder runterkommen. Die ersten Bergführer sind schon mit ihren Gästen unterwegs (und überholen uns…). Der Aufstieg zur Scharte ist gut gesichert, überhaupt kein Problem. Es lässt sich in der Scharte wunderbar sitzen, der Ausblick ist sensationell. Bisschen windig vielleicht, aber sehr schön. Und dann kommt die Schlüsselstelle für uns, der deutlich schwierige Abstieg ins Val de Contrin. Erstens abwärts, zweitens vielleicht ein II-III, auch wenn nur ein ganz kurzes Stückerl. Leitern. Wir schaffen das, und stehen nach einer halben Stunde unterhalb der Scharte und dem Picol Vernel auf dem obersten Stück einer Geröllhalde, die sich bis ins Tal steil hinabzieht. Wir machen, dass wir da runterkommen, ehe wir den Helm ausziehen, da fällt schliesslich dauernd noch mehr Zeugs runter. Aber schliesslich finden wir eine nette kleine grüne Senke, welche uns für eine kurze Rast aufnimmt, und wo wir den ganzen Karsumpel in unsere – jetzt bis zum Platzen volle - Rucksäcke verstauen. Der späte Mittag findet uns jedenfalls schon unten in der Rifugio Contrin. Wir stellen erfreut fest, dass dieses Rifugio ein Berghotel ist. Wir haben ein Doppelzimmer mit Dusche reserviert, und es ist ganz wunderbar… Und auch notwendig: ich wasche meine Füsse gleich zwei Mal…
Den Nachmittag verbringen wir damit, die Esel auf der Weide oberhalb des Rifugios zu locken und zu caressieren, die Gedenkkapelle der Alpini kritisch zu beäugen (ziemlich schwülstig) und bei der Malga Contrin gleich nebenan eine Beerenmilch zu geniessen (ausgesprochen lecker).

Malga Contrin, Blick zur Rückseite der Marmoladascharte
Technisch war dies unsere anspruchvollste Etappe auf dem Zweier. Die Alternative ist die Umgehung der Marmolada. Da es zwischen der Capanna Contrin und der letzten möglichen Übernachtung am anderen Ende des Lago de Fedaia keine weitere Hütte gibt, wäre es auch eine sehr lange Etappe. Der Führer gibt acht Stunden an. Ein amerikanisches Paar, welches diesen Abschnitt gewandert ist, hat von zehn Stunden gesprochen, was ich immer noch für sehr schnell halte. Die beiden haben das in der Zeit gekonnt, aber ich hätte sicher länger gebraucht. Die eingezeichnete Route geht über den Passo de Fedaia und folgt ziemlich lange einer Strasse, folgt dann dem Val de Ombreta, und verläuft zwischen der Marmolada und der Zime de Ombreta über den Pass de Ombreta, und vereinigt sich im Val Rosalia mit der von uns gewählten Variante.
Der nächste Morgen schmückt sich mit einem blauen Himmel, die Aussicht auf die Rückseite der Marmolada ist spektakulär, allerdings hängt ziemlich Dunst in der Luft: blau in blau überragen sich die Bergzüge. Wir folgen dem lieblichen Val de Cirele mit seinen bestossenen Alpwiesen und steigen unterhalb des Palon de Jigole auf zum Pas de la Cirele. Alles recht gemütlich, nicht allzu steil. Auf dem Pass oben stellen wir fest, dass wegen Wolken und Nebel die Aussicht nicht allzu weit reicht, die uns umgebenden Bergspitzen sind jedenfalls schon nicht mehr zu sehen. Deutlich hingegen kann wahrgenommen werden, wie sacksteil es die vor uns liegende Schutthalde heruntergeht. Der Zickzackweg ist beim runterkommen rutschig, man muss buchstäblich in jeder Kurve gut auf die Füsse achtgeben, damit man nicht eine oder zwei Kurven unfreiwillig auslässt… nach den ersten Spitzkehren stellen wir fest, dass in der Mitte dieser Kehren ein gerader Staubpfad nach unten führt. Direttissima. Vor uns sehen wir Wanderer in unserer Richtung, die den Steilkehren entschlossen folgen, aber wenn man der Direttissima folgt, ist man in Rekordzeit unten. Jedenfalls habe ich noch nie so schnell 300 Hm absolviert. Ich gebe zu, das mit dem Gleitrutschen war nicht eben sehr elegant, aber dafür sehr effizient. Die Steilhalde läuft schliesslich in ein Bödeli mit kleiner Gegensteigung aus, und dort steht auch eine kleine Gedenkstätte, es werden irgendwelche Alpini gefeiert. Von dort aus kann man Blumenwiesen sehen, die vom Bach Jigolé durchzogen werden. Wie wir schliesslich weiter unten beim Rifugio Fulciade ankommen, regnet es schon ein bisschen, und das Haus ist bumsvoll mit Tagesgästen. Da unser Etappenziel etwa eine Stunde Fussmarsch entfernt liegt, machen wir uns nicht viel draus, sondern gleich wieder auf den Weg. Dieser führt einem gepflasterten Strässchen entlang, hat aber kaum Verkehr, da Fahrverbot, ausser für Anwohner. Wir spazieren gemütlich an kleinen Häuschen und Siedlungen vorbei (Regola sopra, zum Beispiel) und begegnen vielen Ausflügern, oder sie überholen uns. Wir sind nun kurz vor dem Passo Pelegrino, von woher die Leute alle kommen, dort hat’s nämlich Parkplätze, steht ein Refugio der Sorte Hotel, das Miralago. Wir haben dort unsere Mittagsrast nachgeholt, und können das Etablissement wärmstens empfehlen. Ob man von dort aus den See sehen kann, wissen wir nicht, da es unterdessen richtig zu regnen begonnen hatte. Zum Schluss sind wir dann noch zu unserem Hotel marschiert, dem Monzoni wo es ganz interessant war, aber das Miralago wäre uns lieber gewesen.

Pas de le Cirele
Gegen Abend klart es etwas auf. Wir sind mal it dem Auto über diesen Pass gefahren, und er liegt zwischen prächtigen Gebirgsketten, unter dem Col Margherita. Wirkt auch Abends sehr nett. Es gibt einige Hotels, deren Dienstleistungen aber auf Hiesige ausgerichtet sind. Und es hat sogar einige Gäste, wie wir feststellen. Das Ganze wirkt allerdings, als wäre es vor allem für den Winterbetrieb eingerichtet.
Am nächsten Morgen nehmen wir unsere letzte Tagesetappe unter die Füsse. Ein Stück der Strasse entlang zurück, und dann über ziemlich sumpfige Wiesen und dann durch Wäldern entlang von Skipisten hoch zur Corda degli Zingari. Die Huskybar hat geschlossen… Von dem kleinen Pässchen aus führt ein Höhenweg reizvoll über dem Lago di Cavia hinüber zur Forcella di Pradazzo, und von dort aus folgt man dem Kiessträsschen runter zum Passo die Vallés. Motorrad und Velofahrer füllen das kleine Rifugio an der Strasse. Der nächste Stopp ist erst heute Abend im Rifugio G. Volpi di Misurata al Mulaz, was ein sehr langer Name für eine so kleine Hütte ist… Vom Passo Valle geht’s nun Richtung Pale Gruppe. Ziemlich eindrücklich. Es sind noch Gletscher auf der Karte eingezeichnet, allerdings können wir sie nicht mehr ausmachen. Vom Valléspass aus über die Strasse geht’s auf der anderen Seite gleich recht steil hinauf, auf sehr gut ausgebautem Weg, zur Forcla Venegia. Von dieser aus folgt man dem Gratweg, nun etwas weniger gut ausgebaut, und dann etwas runter, zum Passo di Venegiota. Von dort aus steigt man erst ab und dann wieder auf zum Passo die Focchet, und dann wird der Weg ganz schön interessant. Unter dem Monte Mulaz verlaufend, teilweise mit Ketten gesichert, immer recht ausgesetzt und mit Blick auf die gegenüberliegenden Felswände der Kette, welche gekrönt wird vom Cima del Focoboni, steigt man teils sehr steil entlang den Steinwänden eines unten recht breiten Kar auf. Es gibt Pausenplätzchen, aber sie sind erstens eher selten, zweitens klein, und drittens gibt’s dort oft Disteln. Nach dem Sasso Arduini, einem sehr schönen Aussichtsplatz, kann man dann die Hütte sehen, ein sehr hübscher Steinbau mit netter kleiner Terrasse. Da es ein Sonntag war, war die Hütte gerammelt voll, es musste in Schichten gegessen werden. Während es einige Zimmer mit Stockbetten gibt, waren deutlich mehr Gäste vorhanden, also, wir haben im Dachboden geschlafen. Mit buchstäblich Dutzenden anderer Wanderer, teils in Gitterbetten, teils auf Matratzen auf dem Boden. Immerhin konnte man stehen, ohne sich den Kopf anzustossen, und der Raum war gross. Die Bewirtung war freundlich, und hat uns auch bei der Organisation der Rückfahrt unterstützt. War ein ziemlicher Wirbel dort oben! Der Hüttenhund, ein zutrauliches Flatterohr ungewisser Rasse, genoss viel Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten. Erstaunlicherweise waren viele italienische Gruppen dort oben. Die Ausrüstung war teilweise etwas abenteuerlich, aber die Stimmung war ungebrochen gut und fröhlich. Man konnte die Heiterkeit schon von weitem hören!

Rifugio G. Volpi di Misurata al Mulaz (Pale di San Martin)
Am nächsten Tag sind wir teils kniebrecherisch steil, über Schutthalden und Felswege abgestiegen zur Malga Venegiota. Der Zweier geht noch weiter, über den Passo Pelegrino bis nach Feltre. Wir hatten aber nicht mehr Unterwäsche dabei, das heisst saubere… Ausserdem war der Rücktransport schon organisiert, deswegen hiess es, von diesem schönen und spannenden Weg Abschied zu nehmen. Bei der Malga wurden wir von einem Bergführer abgeholt, dessen Telefonnummer wir schon vor der Tour durch den Hüttenwart der Mulazhütte erhalten hatten. Es empfiehlt sich, den Rücktransport vor der Tour zu organisieren. Im deutschsprachigen Teil der Dolomiten fahren die öffentlichen Verkehrsmittel oft, regelmässig zu sinnvollen Zeiten für die Touristen. Im italienisch sprechenden Teil der Dolomiten organisiert man sich lieber ein Bergtaxi.
Die Malga Venegiota ist ein vielbesuchter Restaurations- und Bauernhofbetrieb, etwa eine halbe Wegstunde von einem grossen, grossen Parkplatz entfernt.
Die Rückfahrt nach Brixen dauerte gute drei Stunden und kostete etwa 170 Euro, etwas mehr als nach Brixen, da St. Andrä etwas höher liegt. Brixen ist durchaus sehenswert, der nette kleine mittelalterliche Stadtkern ist durchsetzt mit Palästen und Kirchen und verfügt über nette Lokale und Geschäfte. Im Sommer kann es recht warm werden!
Einstufung des Höhenwegs: der Dolomitenhöhenweg 2 erfordert grösseres technisches Können als der einer. Die Aufstiege sind knackiger, es gibt mehr gesicherte Stellen, WT 2-4. Die Landschaft ist einzigartig. Enstprechend ist die Gegend teilweise stark besucht, auch gesicherte, schwierigere Steige sind teils vielbegangen. Für Kinder geeignet etwa ab 12. Wir haben viele Hunde gesehen, die einzige Etappe, die für Hunde nicht geht, ist der Abstieg von der Marmoladascharte. Reservation in den Hütten ist immer sehr empfehlenswert, im August unbedingt notwendig. In den Hütten werden meistens Duschen, teils kostenpflichtig, angeboten, Hüttenfinken sind auch vorhanden. Es gibt aber auch Hütten ohne Duschmöglichkeit. Wasser kann nicht überall getrunken werden, aber zum Waschen und Zähneputzen reicht es allemal. Essen: Deutschsprachig: Knödelgebiet, ausgiebiges Frühstück. Italienisch: Polenta und Spaghetti, Frühstück eher spärlich.
Sonstige Informationen: siehe Dolomitenhöhenweg 1.